Profitieren Menschen mit Device-detektiertem Vorhofflimmern und vorherigem Schlaganfall von Antikoagulation?

Eine Subgruppenanalyse der NOAH – AFNET 6 Studie ergab: Bei Patient:innen mit Device-detektiertem Vorhofflimmern und einem vorherigen Schlaganfall führt die orale Antikoagulation zu mehr Blutungen, ohne dass es zu einer deutlichen Verringerung der Schlaganfallhäufigkeit kommt. Dieses Ergebnis wurde von Prof. Paulus Kirchhof, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Hamburg, in einer Late-breaking Clinical Trials Session beim Jahreskongress der Amerikanischen Heart Rhythm Society (HRS) in Boston, USA, am 19.05.2024 vorgestellt (1).

 

Device-detektiertes Vorhofflimmern bezeichnet kurze und typischerweise seltene Episoden von Vorhofflimmern, die von Herzschrittmachern, Defibrillatoren und implantierten Ereignisrekordern erkannt werden, die eine kontinuierliche Rhythmusüberwachung ermöglichen. Bei einem Fünftel aller Patient:innen mit einem am Herzen implantierten elektronischen Gerät kommt es zu Device-detektiertem Vorhofflimmern (2). Device-detektiertes Vorhofflimmern kann zu einem Schlaganfall führen, aber das Schlaganfallrisiko bei Device-detektiertem Vorhofflimmern scheint geringer zu sein als bei EKG-dokumentiertem Vorhofflimmern (1 Prozent pro Jahr).

 

Eine Antikoagulation beugt Schlaganfällen bei Patient:innen mit EKG-dokumentiertem Vorhofflimmern effizient vor. Besonders wirksam ist sie bei Patient:innen mit Vorhofflimmern und einem früheren Schlaganfall oder einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA), bei denen ein hohes Risiko für einen erneuten Schlaganfall besteht. Bei Patient:innen mit einem früheren Schlaganfall ohne EKG-dokumentiertes Vorhofflimmern erhöhen orale Antikoagulanzien hauptsächlich die Blutungsneigung und haben nur eine schwache Wirkung auf ischämische Schlaganfälle.

 

In der NOAH – AFNET 6-Studie (Non-Vitamin-K-Antagonist Oral Anticoagulants in Patients with Atrial High-Rate Episodes) wurde festgestellt, dass eine Antikoagulation bei Patient:innen mit Device-detektiertem Vorhofflimmern Blutungsereignisse wie erwartet erhöhte, während die Schlaganfall-verhindernde Wirkung geringer als erwartet ausfiel (3). Die schwache Wirksamkeit der Antikoagulation zeigt sich auch bei Patient:innen mit langen Episoden (mindestens 24 Stunden) von Device-detektiertem Vorhofflimmern (4) und bei Patient:innen mit vielen Begleiterkrankungen (CHA2DS2VASc score 5-9) (5). Eine Meta-Analyse von NOAH – AFNET 6 und der ähnlichen Studie ARTESiA (Apixaban for the Reduction of Thrombo-Embolism in Patients with Device-Detected Sub-Clinical Atrial Fibrillation) bestätigte eine Zunahme von Blutungen und stellte eine geringe Abnahme von ischämischen Schlaganfällen unter Antikoagulation fest (6).

 

Prof. Kirchhof, wissenschaftlicher Leiter der NOAH – AFNET 6 Studie, erklärt: „Patient:innen mit einem Schlaganfall in der Vorgeschichte werden häufig antikoaguliert, wenn bei ihnen Device-detektiertes Vorhofflimmern festgestellt wird. Wir wissen jedoch nicht, ob sie wirklich von dieser Behandlung profitieren. Die Daten über die Wirksamkeit und Sicherheit der Antikoagulation bei dieser Patient:innengruppe sind nicht eindeutig. Wir haben diese vorab festgelegte Teilanalyse des NOAH – AFNET 6 Datensatzes geplant und durchgeführt, um den Behandlungseffekt der Antikoagulation bei Menschen mit Device-detektiertem Vorhofflimmern mit und ohne vorausgegangenen Schlaganfall zu bewerten.“

 

Die Analysepopulation bestand aus 253 Patient:innen mit Device-detektiertem Vorhofflimmern und einem vorausgegangenen Schlaganfall oder einer TIA sowie aus 2281 Patienten ohne vorausgegangenen Schlaganfall oder TIA. Die Teilnehmer:innen waren im Durchschnitt 78 Jahre alt.  36,4 Prozent waren Frauen. Alle Patient:innen wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei Kohorten eingeteilt, wobei die Teilnehmer:innen der einen Gruppe eine Antikoagulation mit Edoxaban, die der andern Gruppe keine Antikoagulation erhielten. In einer Sensitivitätsanalyse wurden nur Patient:innen mit einem früheren Schlaganfall berücksichtigt. Diese Patient:innengruppe lag außerhalb der zugelassenen Indikation für Edoxaban.

 

Bei Patient:innen mit einem vorangegangenen Schlaganfall oder einer TIA trat ein primäres Ereignis (Schlaganfall, systemische Embolie oder kardiovaskulärer Tod) bei 14 der 122 Patient:innen mit Antikoagulation (5,7 Prozent pro Patientenjahr) und bei 16 der 131 Patient:innen ohne Antikoagulation (6,3 Prozent pro Patientenjahr) auf. Dies stellt keinen signifikanten Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen dar. Die Schlaganfallrate war mit und ohne Antikoagulation niedriger als erwartet. Einen Schlaganfall erlitten 4 der 122 Teilnehmer:innen mit Antikoagulation (1,6 Prozent pro Patientenjahr) und 6 der 131 Teilnehmer:innen ohne Antikoagulation (2,3 Prozent pro Patientenjahr). Es gab keine Behandlungsinteraktion zwischen einem früheren Schlaganfall und der Antikoagulationstherapie. Bei Patient:innen mit vorausgegangenem Schlaganfall oder TIA schien die Antikoagulation im Vergleich zur Behandlung ohne Antikoagulation die Zahl schwerer Blutungen zu erhöhen.

 

Prof. Kirchhof kommt zu folgendem Schluss: „Die Ergebnisse stimmen mit denen der Hauptstudie überein: Ohne EKG-dokumentiertes Vorhofflimmern hatte die Antikoagulation nur einen geringen Einfluss auf Schlaganfall und systemische Embolie, selbst in dieser Hochrisikopopulation von Patient:innen mit früherem Schlaganfall. Es sind weitere Studien erforderlich, um Patient:innen mit Device-detektiertem Vorhofflimmern zu identifizieren, die ein hohes Schlaganfallrisiko haben, und um das Risiko und den Nutzen einer Antikoagulation bei diesen Menschen genau zu bestimmen. Unsere Analyse ist die erste ihrer Art, aber sie hat auch ihre Grenzen: In die NOAH – AFNET 6-Studie wurden nur 253 Patienten mit einem vorangegangenen Schlaganfall oder einer TIA aufgenommen, und beim Studieneintritt lagen der Schlaganfall oder die TIA schon mehrere Jahre zurück.“ Weitere Informationen könnten sich aus ähnlichen Analysen der ARTESiA-Studie ergeben.

 

Prof. Andreas Goette, St. Vincenz-Krankenhaus in Paderborn, Deutschland, der an der NOAH – AFNET 6 Studie und an der Metaanalyse beteiligt war, stellt fest: „Die Antikoagulation reduziert Schlaganfälle um einen geringen absoluten Betrag. Dieser erwünschte Effekt wird aber durch eine Zunahme schwerer Blutungen erkauft. Diese Auswirkungen sind bei individuellen Entscheidungen zur Antikoagulation bei Patient:innen mit Device-detektiertem Vorhofflimmern zu berücksichtigen.“

 

 

Publikationen

(1) Diener HC, Becher N, Sehner S, Toennis T et al. Anticoagulation in patients with device-detected atrial fibrillation with and without a prior stroke or transient ischemic attack. The NOAH-AFNET 6 trial. Eingereicht.

(2) Toennis T, Bertaglia E, Brandes A, et al. The influence of Atrial High Rate Episodes on Stroke and Cardiovascular Death - An update. Europace. 2023 Jul 4;25(7). DOI: 10.1093/europace/euad166.

(3) Kirchhof P, Toennis T, Goette A, et al. Anticoagulation with Edoxaban in Patients with Atrial High-Rate Episodes. N Engl J Med 2023;389(13):1167-1179. DOI: 10.1056/NEJMoa2303062.

(4) Becher N, Toennis T, Bertaglia E, et al. Anticoagulation with edoxaban in patients with long Atrial High-Rate Episodes ≥24 hours. Eur Heart J. 2024 Mar 7;45(10):837-849. DOI: 10.1093/eurheartj/ehad771

(5) Lip YH, Nikorowitsch J, Sehner S et al. Oral anticoagulation in device-detected atrial fibrillation: effects of age, sex, cardiovascular comorbidities, and kidney function on outcomes in the NOAH-AFNET 6 trial. Eur Heart J. 2024 April 9. DOI: 10.1093/eurheartj/ehae225

(6) McIntyre WF, Benz AP, Becher N, et al. Direct Oral Anticoagulants for Stroke Prevention in Patients with Device-Detected Atrial Fibrillation: A Study-Level Meta-Analysis of the NOAH-AFNET 6 and ARTESiA Trials. Circulation. 2023. DOI: 10.1161/CIRCULATIONAHA.123.067512

 

 

Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V. (AFNET)

Das Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V. (AFNET) ist ein interdisziplinäres Forschungsnetz, in dem Wissenschaftler:innen und Ärzt:innen aus Kliniken und Praxen deutschlandweit zusammenarbeiten. Ziel des Netzwerks ist es, die Behandlung und Versorgung von Patient:innen mit Vorhofflimmern in Deutschland, Europa und weltweit durch koordinierte Forschung zu verbessern. Dazu führt das Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V. wissenschaftsinitiierte, nicht-kommerzielle, klinische Studien (investigator initiated trials = IIT) und Register auf nationaler und internationaler Ebene sowie translationale Forschungsprojekte durch. Der Verein ist aus dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Kompetenznetz Vorhofflimmern hervorgegangen. Seit Januar 2015 werden einzelne Projekte und Infrastrukturen des AFNET vom Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) sowie einige Projekte aus EU-Forschungsmitteln gefördert. Das AFNET verfügt über langjährige Erfahrung in der Behandlung von Vorhofflimmern, unterstützt aber auch Forschungsarbeiten in anderen Bereichen, die für die kardiovaskuläre Versorgung relevant sind. Die Erkenntnisse aus der mittlerweile 20jährigen klinischen und translationalen Forschung des Forschungsnetzes haben das Leben von Patient:innen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbessert und Behandlungsleitlinien beeinflusst.

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